4000 Kilometer in 18 Tagen
Über Lesbos und den Balkan: Journalist Mohammad Ghunaim (25) ist aus Syrien nach Deutschland geflohen.
Mohammad Ghunaim sitzt am Schreibtisch. Auf dem Globus zeigt er die 4000 Kilometer lange Route, die ihn nach Deutschland geführt hat. Vor drei Monaten flüchtete er aus Syrien vor Bomben, Terror und Perspektivlosigkeit. Der 25-jährige Journalist hat seine Reise von Damaskus über den Balkan bis nach Börninghausen mit Bildern dokumentiert.
Waffen und Gewalt
Seine Motivation zur Flucht sei vor allem eins gewesen: »Angst«, sagt Ghunaim. Angst vor dem IS, vor Waffen und Gewalt. »In Syrien hat sich durch den Krieg alles verändert. Unsere Heimat wird es sehr schwer haben. Ich sehe die Ereignisse dort als einen kleinen Weltkrieg, denn es sind viele Parteien involviert. Das Leben dort ist sehr hart«, sagt Mohammed Ghunaim. Er beschloss, aus dem Chaos zu fliehen: »Meine Eltern wissen, dass ich mir immer sehr genaue Pläne mache, und dass ich vernünftig bin. Es war aber trotzdem sehr schwer, ihnen von meinen Plänen zu erzählen.«
Leben vor dem Krieg
Ghunaim hatte in Damaskus studiert und seinen Bachelor im Fach Medien, PR und Werbung erworben. Für das »Syrian Arab Red Crescent« (SARC), das Pendant des Deutschen Roten Kreuzes in Syrien, war Ghunaim journalistisch als Informationsmanager tätig. Trotz seines festen Jobs verdiente er nur 150 US-Dollar im Monat. Zu wenig. Es reichte nicht, um auch noch seine Eltern Hatem (55) und Amal (50) finanziell zu unterstützen. »Mein Vater ist Bäcker. Er wurde krank und verlor seinen Job. Meine Mutter ist Lehrerin, doch auch in diesem Beruf verdient man in Syrien nur wenig Geld«, erzählt Ghunaim. In der persischen Sprache bedeutet der Vorname seiner Mutter Hoffnung. »Das war für mich ein Ansporn, denn ich wollte das Leben für uns alle verbessern.«
Die erste Etappe
Von Damaskus aus machte er sich auf den Weg, durchquerte den Libanon auf dem Weg in die Türkei. »Ich hatte im Gepäck nur wenig Kleidung, ein Erste-Hilfe-Set, Schul- und Universitätszeugnisse und eine Bauchtasche mit Pass, Papieren und Geld.« In Istanbul traf Mohammed Ghunaim seinen jüngeren Bruder Abdullah (21) wieder, der bereits zwei Jahre zuvor sein Glück im Nachbarland gesucht hatte. »Wir haben uns kaum wiedererkannt. Es war ein großes Glück, ihn endlich wieder in die Arme zu schließen.« Die Lebensbedingungen in der Türkei seien für die Brüder schwierig gewesen. »Abdullah verdiente etwa 20 Dollar für 16 Stunden Arbeit als Fischer. Wir mussten auf der Straße schlafen. Uns ist schnell klar geworden, dass wir nach Europa müssen, um unser Leben wirklich zu verbessern.«
Der Daumen auf Damaskus, der Zeigefinger in Deutschland: Mohammed Ghunaim hat 4000 Kilometer zurückgelegt. Foto: Kai Wessel
Das 1300-Dollar-Ticket
In der türkischen Küstenstadt Izmir kauften sich die Brüder für 1300 Dollar pro Person ein Ticket für die Überfahrt über die Ägäis auf die griechische Insel Lesbos. Nach drei Nächten, in denen sie versteckt in der Wildnis gekauert und abgewartet hatten, gaben die Schmuggler das Signal zum Aufbruch: Im Morgengrauen bestiegen Abdullah und Mohammed Ghunaim ein kleines Boot, das sie und 50 andere Menschen nach Lesbos brachte. »An Bord waren auch Frauen und Kinder, die große Angst hatten und viel geweint haben. Für mich waren das die längsten 40 Minuten meines Lebens.« Momente wie die Ankunft auf Lesbos hat Mohammed Ghunaim festgehalten. Mit seiner Videokamera hat er unzählige Fotos und Videos auf seiner Reise gemacht. »Ich
wollte dokumentieren, wie die Flucht für viele tausend Menschen wirklich aussieht.«
Die Balkan-Route
Über Athen fuhren die Brüder weiter nach Mazedonien und Serbien, bis nach Kroatien. »Bis dahin haben wir schon schlimme Verhältnisse in den Flüchtlingscamps gesehen. Es gab wenig Essen und viel Ärger«, sagt Mohammed Ghunaim. In Kroatien und Slowenien habe er sich wie ein Verbrecher gefühlt: »Wir wurden stark bewacht. Im Lager fühlte es sich an wie in einem Gefängnis. Wir haben versucht, die Lage zu organisieren.
Die Helfer waren überfordert und haben sich über unsere Hilfe gefreut. Es geht darum, wie viel man geben kann, und nicht darum, wie viel man nimmt.« Über Österreich (»In Wien habe ich mich endlich wieder wie ein richtiger Mensch gefühlt«) erreichten die Brüder das bayerische Passau nur 18 Tage nach Mohammed Ghunaims Aufbruch in Damaskus. Mit dem Zug reisten die Brüder weiter nach Köln. »Der Anblick des Doms hat uns sehr beeindruckt. Wir lagen uns in den Armen und haben gelacht wie kleine Kinder«, sagt der 25-Jährige.
Bild links: Mohammed Ghunaim im Flüchtlings-Camp in Slowenien: 1500 Menschen warten unter freiem Himmel auf ihre Registrierung.
Bild mitte: Am Bahnhof: Die Gruppe mit Mohammed Ghunaim (links) und seinem Bruder Abdullah (vorne rechts) wartet auf den Zug nach Kroatien.
Bild rechts: Ghunaim ist in Wien angekommen, hinten der Stephansdom.